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3. - 13. November 2013

 

Starkwind, Kaltfronten, Gewitter ... nein, die Wettervorhersagen für den Weg nach Südafrika versprechen alles andere als nettes Segeln. Wir sind in Reunion und seit wir das Wetter für die nächste Etappe genauer ansehen, ist es immer schlecht. Noch liegen wir gut in der Zeit, auch wenn der erste Zyklon der Saison schon im Norden vorüber gezogen ist. Der war ungewöhnlich früh, und eigentlich glauben wir nicht, dass da bald noch etwas nachkommt. Das Wasser im Südindik muss ja erst noch von der Sonne erwärmt werden, bevor es Zyklone mit Energie versorgen kann. Man weiß aber nie. Immerhin liegen wir in einem gut geschützten Hafen.

 

Touristisch haben wir auch noch einiges auf der Insel mit ihrer spektakulären Landschaft vor, so dass es uns noch nicht weiter drängt. Trotzdem, so langsam fragen wir uns schon, ob das Wetter noch normal ist dieses Jahr. Wie sollen wir durch so was durchkommen, und überhaupt, war die Entscheidung für den Weg rund um das Kap der guten Hoffnung nicht doch verkehrt? Die Alternativen gehen einem immer wieder im Kopf herum, Rotes Meer, drückend schwül mit ständig Gegenwind und Piraten, oder gar Mango auf einen Frachter verladen? Eigentlich ist es für alles andere auch schon zu spät. Also weiter jeden Tag die Wettervorhersage studieren und hoffen, dass es irgendwann besser wird.

 

Am Steg ist das Wetter natürlich das Gesprächsthema Nummer eins. Alle wollen von hier nach Südafrika (die einheimischen Bootseigner zählen nicht, da die ja kaum mal anzutreffen sind). Und diese Strecke gilt als eine der schwierigsten auf den üblichen Weltumseglerrouten. Manche waren vor uns hier und haben zum Teil schon lange gewartet. Es wird geplant und gerechnet, wie man sich um das Schlimmste herum mogeln könnte. Ab und zu fährt einer los, keiner leichtfertig und enthusiastisch, eher frustriert und auf alles vorbereitet. Manchmal bekommen wir über emails oder Funknetze Eindrücke von denen, die unterwegs sind; immer sind es schlechte Nachrichten. Immerhin aber keine Schiffsverluste.

 

Manche haben sich entscheiden, die Strecke in Madagaskar zu unterbrechen. Da kommt man oft mit Passatwind hin und kann dann wieder neu auf günstige Vorhersagen warten. Aber die einzige brauchbare Stelle im Süden der Insel dafür ist nicht sehr attraktiv für Yachten, ganz abgesehen von den willkürlichen und hohen Klarierungsgebühren, der schlechten Versorgungslage, den ansteckenden Krankheiten und dem Risiko, dort ungünstiges Wetter aussitzen zu müssen. Wir treffen später einige Boote, die es versucht haben, niemand war mit der Entscheidung glücklich. Etwas anderes wäre es gewesen, im Norden um Madagaskar herum zu fahren. Dort soll es landschaftlich sehr schön sein, aber wir haben nicht die Zeit dafür und von dort nach Süden ist das Wetter auch oft ungünstig.

 

Mit Internet an Bord (im Hafen) bekommen wir an Wettervorhersagen alles, was überhaupt öffentlich verfügbar ist. Das sind insbesondere flächendeckende Windvorhersagen in 3-Stunden Intervallen für bis zu 7 Tage, sogenannte grib-Daten. Auch wenn man die mit seiner Erfahrung noch interpretieren muss, haben wir es schon viel besser als die Generationen vor uns. Aber davon wird die Entscheidung, wann loszufahren auch nicht immer einfacher. Die Wetterlage ist notorisch instabil, die Vorhersagen ändern sich von einem Tag auf den anderen – ein Meteorologe würde wohl sagen 'geringfügig', aber für uns doch entscheidend. Nach drei Tagen ist die Wetterlage meist nicht wiederzuerkennen. Für eine Strecke, für die wir mindestens 9 Tage brauchen, realistischer eher 12 oder bei ungünstiger Wetterentwicklung noch mehr, bedeutet dies, dass nicht mal die erste Hälfte wirklich überschaubar ist. In der zweiten Hälfte kommt aber eher mehr schlechtes Wetter, denn dort ist die Westwind-Zone mit ihren Tiefdruckgebieten und Fronten. Nicht dass der Passat der ersten Hälfte hier einen stabilen Eindruck machen würde.

 

Wozu also das ganze Planen? Sollten wir nicht einfach irgendwann losfahren und auf das Beste hoffen? Oder noch mehr Expertise? Manche Segler lassen sich von Profis per Internet und Telefon beraten. Speziell für ihr Boot und die erwarteten Geschwindigkeiten bei unterschiedlichem Wetter berechnen Computer den besten Weg durch das Wetterchaos. Wir entscheiden uns dagegen, so einen Service zu buchen. Denn auch die Profis arbeiten mit den gleichen Wetterdaten, die wir auch haben. Wir geben aber zu, dass wir in einer Hinsicht von der Beratung anderer Boote stark profitieren. Die Aussagen der Profis sind nämlich immer gleich: die Wetterlage ist schlecht und instabil, am Besten noch warten. Das heißt für uns: es sollte hier zu dieser Jahreszeit auch bessere Wetterlagen geben, wir müssen nicht unbedingt irgendwann durch so was durch. Mit dieser Hoffnung können wir die Tage hier und unsere Ausflüge über die Insel doch genießen.

 

Für den 3. November sieht es gut aus. Keineswegs das erste Datum, das mal für gut befunden worden wäre, aber diesmal bleibt es dabei. Tagsüber soll noch eine in Auflösung begriffene und daher nur noch schwache Kaltfront durchziehen, danach kann es dann am Nachmittag losgehen. Die anderen Boote, die mit uns in den Startlöchern stehen, haben keine Geduld und fahren schon Mittags los, noch mit Wind auf die Nase. Wir warten noch ab, und fragen uns, ob wir das dann am Ende bereuen werden. Um 16:00 Uhr scheint die Winddrehung da zu sein, das Wetter klart auf und um 16:40 laufen auch wir aus. Durch den diesmal höheren Schwell vor dem Hafen mit Motor und dann – weiter mit Motor, denn der Wind nach der Front ist viel schwächer als angesagt oder brauchbar.

 

Das geht ja gut los! Das Wetter wird wieder schlechter und das bisschen Wind dreht auch wieder auf die Nase. Was soll das denn, kann denn die Vorhersage so kurzfristig so daneben liegen? Nur langsam kommen wir darauf: die Front soll auch nach Ansage nicht mehr wesentlich weiter ziehen. In Wahrheit schwabbelt sie wohl wieder etwas nach Süden zurück und wir sind wieder nördlich von ihr. Also Augen zu und durch. Um 18:35 Uhr ist der Wind stabil aus Südost und der Motor kann aus. So geht es durch die Nacht und die zwei kommenden Tage. Schönes Segeln während der Wind immer mehr von achtern kommt. Die Strömung hilft auch mit. Einmal begleitet uns ein Wal. Es ist ein Bartenwal, definitiv kein Delfin, ungewöhnlich. Er sieht irgendwie noch jung aus und ist wohl so 8m lang. Er spielt fast eine halbe Stunde mit Mango, wir haben den Eindruck, er will sich ankuscheln. Jedenfalls schenkt er uns eine schöne Abwechslung und Ablenkung von der Anspannung wegen des Wetters.

 

Am Abend des dritten Tags wird es dann ernst. Vor der sinkenden Sonne bauen sich die Wolken der ersten Kaltfront auf, durch die wir durch müssen. Die sah in der Vorhersage nicht sehr schlimm aus, aber genau vor uns entwickelt sich eine sehr aktive Gewitterzelle. Blitze fast ohne Pause, ein wirklich beeindruckendes Naturschauspiel. Hätten wir aber auch gerne darauf verzichtet. Die Front erstreckt sich weit von Nordwesten nach Südosten, da können wir nicht herumfahren. Im Abendlicht sehen wir eine Lücke in den Wolken und Gewittern und weichen beherzt nach Süden aus. Nur langsam kommen wir voran, trotz Motor, denn die günstige Strömung hatte sich schon vor einiger Zeit umgekehrt und bremst uns gerade jetzt mit 1,5kn aus! Der Wind dreht schnell in alle möglichen Richtungen, ist aber nie stark. Zum Glück können wir uns in 'unserer' Lücke halten, seeehr langsam kommen wir durch und der Abstand zum Gewitter wird wieder größer. Noch die ganze Nacht haben wir eine tolle Lightshow im Rücken.

 

Geschafft, mit mehr Glück als Verstand.

 

Wie jetzt weiter? Die allgemeine Empfehlung ist, weit von Madagaskar weg zu bleiben, weiter Südwestkurs, eher noch südlicher. Denn bei Madagaskar wird der Ozean flach, die Strömungen können die Wellen ziemlich hässlich werden lassen, und wenn man hier den nächsten Starkwind aus Südwest bekommt, hat man wenig Spielraum. Aber unsere Wettervorhersagen, schon vor der Abfahrt und auch jetzt noch, lassen uns eineinhalb Tage bis zur nächsten Front. Wenn wir nach Westen fahren, sollten wir bis dann an den kritischen Stellen vorbei sein und freien Seeraum mit tiefem Wasser nach Nordwest haben. Wenn wir dagegen der üblichen Route folgen, kommen wir nicht so weit nach Westen und bekommen die dann stärkere Front weiter im Osten ab. Wir entscheiden uns für das Risiko näher an Madagaskar: lieber eine schwächere Front, denn von Gewittern haben wir eigentlich genug.

 

Zwei Tage segeln wir eher langsam dahin und fangen einen schönen Mahi-Mahi. Unser Lieblingsfisch, immer wieder lecker. Am Abend kommt dann die Front. Einige hässliche Squalls, dann Wind aus Südsüdwest. Die Gewitter entwickeln sich schon deutlich hinter uns. Geht noch zu segeln, wenn auch nicht ganz die richtige Richtung. Am Morgen geht der Wind auf Süd, und der Kurs ist wieder gut. Erst am Abend wird die See sehr unruhig, obwohl wir im tiefen Wasser sind. Hat wohl mit den Strömungen zu tun, richtig verstehen können wir es aber nicht. Egal, wir sind durch und diesmal war's wirklich nicht schlimm. Im Gegenteil, nebenbei sind wir sogar 159sm in 24 Stunden gefahren, natürlich meistens wieder mit Schiebestrom.

 

Ok, Madagaskar liegt hinter uns, wir sind in der Westwindzone und haben noch ca. 600sm bis Durban. Wenn es gut läuft, gut vier Tage, also innerhalb des halbwegs glaubhaften Wettervorhersagezeitraums. Aber die Vorhersagen geben uns nur 3 Tage östliche und nördliche Winde. Beide sind gut für unseren Kurs Westsüdwest, aber teilweise eher zu schwach, teilweise üppig stark, und danach soll es unbeständig werden. Erst mal eine Warmfront, im Warmsektor schwache wechselnde westliche Winde, und dann eine richtig üble Kaltfront. Sicher mit Gewitter.

 

Wenn wir einfach so weiter fahren, kommen wir da nicht nur mitten 'rein, sondern es würde uns auch im Agulhasstrom erwischen, der starken Strömung, die entlang der afrikanischen Küste nach Südwesten setzt. Nach der Kaltfront soll es Südwestwind knapp unter Sturmstärke geben, der gegen den Agulhasstrom die gefürchtete Welle aufbauen wird. Genau das, warum die Strecke so berüchtigt ist und das, was für Yachten überhaupt nicht geht. Selbst große Schiffe bekommen hier immer wieder Probleme mit dem brutalen Seegang.

 

Was können wir machen? Wir könnten weit im Osten bleiben, so dass uns diese Front erst erwischt, wenn sie schon wieder am Abschwächen ist und wo wir noch nicht den richtigen Agulhasstrom erreicht haben. Das bedeutet, mehr als einen Tag auf See vertrödeln, durch die Front fahren und hoffen, dass der Wind danach schnell dreht, so dass wir durch den Strom in den Hafen fahren können. Klingt alles nicht sehr attraktiv. Alternativ müssen wir eben vor der Font im Hafen sein! Durban ist zu weit, aber Richards Bay ist eigentlich in Reichweite. Zumindest, wenn die Strömung weiter so gut mitzieht, wie zuletzt. Aber was, wenn sie uns wieder ausbremst, wie vor Madagaskar?

 

Nach langer Diskussion entscheiden wir uns, es zu versuchen. Die Front kommt ja erst in vier Tagen, wir können auf jeden Fall erst mal zwei Tage schnell weiter segeln, und falls es dann nicht reicht, wieder umdrehen und nach Osten zurück. Dann wären wir am Ende so weit wie bei der ersten Option, bei der wir einen Tag vertrödelt hätten, um nicht zu weit nach Westen zu kommen. Ist also jetzt noch kein zusätzliches Risiko.

 

Klingt alles ganz logisch, fühlt sich aber in der Praxis ganz anders an. Denn der Wind ist erst mal zu schwach für die Geschwindigkeit, die wir für nötig halten, die direkte Option zu waren. Also legen wir mit Motor nach, eigentlich soll der Wind doch bald stark genug sein. Der lässt aber auf sich warten, und die Strömung schwächelt. Sollen wir sie weiter im Süden suchen, oder doch mehr nördlich halten? Von der Geometrie her klingt Süden logischer, aber da waren wir schon und haben nichts gefunden. Und der nördlichere Kurs wird uns früher in den Agulhasstrom bringen, der uns wiederum schnell nach Süden mitnehmen würde.

 

So weiter, oder doch gleich langsam fahren? Bei jedem Wachwechsel kommt die Frage wieder neu auf, und schon bald haben wir viel Diesel und Nerven investiert, um die direkte Option weiter möglich zu erhalten. Jetzt noch zurück? Eigentlich nicht. Und die Strömung wird doch auch gerade wieder besser. Oder doch nicht? Eigentlich muss es zu schaffen sein, wir brauchen doch nur gut 5kn Gesamtdurchschnitt. Wenn die Front nicht zu früh kommt. Ein Wechselbad der Gefühle.

 

Jedenfalls wird der Wind jetzt stark, und dreht auf Nord. Wir sausen mit Fock und dritten Reff im Groß dahin. Die Strömung schiebt leicht mit und wir machen gute Strecke. Wir rauschen über den letzten Punkt für eine Umkehrentscheidung weg. Jetzt müssen wir durch! Im Westen ziehen die ersten hohen Wolken der Warmfront auf. Lange kann es mit dem guten Wind nicht mehr weiter gehen. Hoffentlich stimmen die Wettervorhersagen und der Gegenwind im Warmsektor wird nicht zu stark. Denn zum Kreuzen ist vor der Front keine Zeit mehr, und mit Motor auf hoher See gegen richtigen Wind macht nicht nur keinen Spaß, sondern ist auch langsam, weil die Wellen einen ordentlich ausbremsen. Nochmal kommen uns schlimme Zweifel, ob das die richtige Entscheidung war, an einer Stelle, wo wir uns vorher auf der sicheren Seite vermutet hätten.

 

Die Warmfront kommt heran, der Wind nimmt ab. Wir reffen aus und halten die Geschwindigkeit noch. Dann ist die Front da, innerhalb einer Stunde ist der Wind fast weg, wir starten den Motor. Später kommt der Wind aus West und Südwest, zum Glück so schwach wie angesagt. Wir motoren gegenan, die Wellen sind unbedeutend. Und wir sind jetzt im Agulhasstrom. Der schenkt uns hier über 2kn zusätzlich. Das Wetter ist in der Nacht seltsam, die Sicht schlecht. Aber wir kommen dem Ziel immer näher. Bei Sonnenaufgang rechnen wir aus, dass wir noch vor Mittag in Richards Bay sein könnten. Die Front ist erst für den Abend angesagt. Endlich können wir nach drei Tagen Stress etwas entspannen. Was soll jetzt noch schief gehen? Endlich taucht auch Afrika aus dem Dunst auf. Hohe Berge, aber erst auf unter 10sm zu sehen.

 

Bald darauf fahren wir aus dem blauen Ozeanwasser über einen Streifen Treibgut in kräftig grünes Wasser. Einige Wirbel an der Grenze und Ende mit Strömung. Wir korrigieren die erwartete Ankunftszeit wieder um eine Stunde nach hinten. Und nur eine Meile weiter kommt noch so eine Wassergrenze. Diesmal wird es schlammig braun, und kommt uns mit 1kn entgegen. Ok, eine Neerströmung unter der Küste war zu erwarten, aber schon so weit draußen? Also noch eine halbe Stunde später im Hafen. Muss aber trotzdem reichen, wir sind ja schon fast da. Das Wetter sieht immer noch nach Warmsektor aus, noch keine Anzeichen für Frontbewölkung.

 

Durch völlige Flaute motoren wir durch das ölig glatte Wasser. Voraus entdecken wir ein anderes Segelboot, das natürlich auch Richards Bay ansteuert. Bald erkennen wir per Fernglas: es ist die 'Finnish Line', die Reunion am gleichen Tag wie wir nur wenig früher verlassen hat. Wir sind baff, denn es ist eine Swan 44, also größer und sportlicher als Mango. Wir hätten erwartet, dass die schon mindestens einen Tag vor uns da gewesen wäre. Aber sie war durch einen Riss im Großsegel gehandicapt und hat die klassische Route weit südlich von Madagaskar genommen. Trotz der sicher 100sm längeren Strecke wäre sie immer noch vor uns da gewesen, wenn sie nicht anderen Wind gehabt hätte als wir und wir nicht so viel motort wären.

 

Die Einfahrtsmolen in die Richards Bay tauchen auf, wir melden uns über Funk an. Port Control gibt uns Erlaubnis zur Einfahrt, erst eine halbe Minute später fällt ihnen ein, dass da noch zwei Schiffe auslaufen wollen. Wir sollen aufpassen. Machen wir, und dann sind wir drinnen. Die Welle ist weg, und kurz darauf erreichen wir den Small Craft Harbour. Um 12:30 Uhr sind wir längsseits an einer anderen Yacht an der Internationalen Pier. Die Front kommt tatsächlich erst um 18:00, ist wirklich hässlich und mit Gewittern, aber wir liegen sicher und haben es geschafft.